Samuel Beckett - Mercier und Camier

Uraufführung von Christian Bertram

mit Genehmigung von Samuel Beckett, nach dem gleichnamigen Roman
in der Übersetzung von  Elmar Tophoven

Premiere im Rahmen des Theatertreffens Berlin am 18. Mai 1981 in der Volksbühne Berlin.
Weitere Aufführungen an der Schaubühne am Lehniner Platz 1982 sowie zahlreiche Gastspiele im In- und Ausland, zuletzt am 25. Januar 2001 am Berliner Ensemble.

Auszug aus der Rundfunk-Besprechung der Gastspiele an der Schaubühne am Lehniner Platz Januar / Februar 1982

„Mercier und Camier“ heißt diese entzückende Etüde nach Beckett. Was geschieht? Wenig genug. Mit der menschlichen, szenischen Darstellung dieses frühen Beckett-Romans wird ein scheinbar sinnloses Unternehmen zweier Freunde geschildert. Sie machen sich auf eine Reise, sie gehen auf Wanderschaft zu zweit. Es passiert offenbar so gut wie nichts.

Regie und Dramaturig und Produktion:

Christian Bertram

..Die Art der Präsentation hat eine schöne, bittere Anmut. Christian Bertram führt taktvoll Regie. Das Licht spielt vorsichtig mit. Hin und wieder wird der Text mit Musik von Satie zärtlich oder deutlich unterlegt. Beckett-Süchtige haben ihr Festessen.

 

Friedrich Luft, Die Welt, 10.02.1982

Sie treffen sich unter komischen Schwierigkeiten zu dem gemeinsam geplanten Ausflug. Sie verfehlen sich komisch und warum sie sich so kurios verfehlen wird auf einer Schiefertafel anhand eines absurden Zeitplanes beschrieben. Sie machen sich endlich auf den Weg. Sie beraten sich. Sie beraten sich immer wieder ergebnislos. Sie geraten in Unfrieden über den einzuschlagenden Weg. Sie haben ein Abenteuer mit einem Regenschirm. Der Regen fällt auf sie nieder. Sie geraten in eine Trennung. Sie finden sich wieder.
Sie erfrischen sich in einer Kneipe. Sie haben ein ganz ereignisloses Erlebnis mit Kindern, die sie am Wege ihrer Wanderung treffen. Sie treffen auf einen Schutzmann. Sie erwerben ein Fahrrad. Der Schutzmann stirbt. Sie wandern weiter. Sie kommen auf eine Schleusenbrücke. Sie verschwinden im Dunkeln. Es ist, obgleich dauernd etwas passierte, doch im Grunde gar nichts geschehen.

Das wird dargestellt mit dem reinen Text dieses kleinen Romans. Zuerst sieht man die beiden Tippelbrüder im Nichts, sieht man Peter Fitz und Otto Sander unter einem Schirm ein beiläufiges Tänzchen aufführen. Wie das arrangiert ist, ist es schon von einer entzückenden Bezüglichkeit und Sinnlosigkeit. Beide sind gekleidet in einen Gehrock von der abgeschabten Sorte. Sander ist eher noch der vornehmere Reisende von beiden. Dann setzen sie sich an getrennte Tische. Sie lesen den Text des Romans vom Blatt vor. Sie holen das Abenteuer der ereignislosen Wanderung aus dem Buche. Wie sie das tun, ist immer wieder humoristisch. Sie lesen Erzählerfloskeln wie „sagte Mercier“ und „sagte Camier“ bedeutungsvoll und ausführlich vor. Diese Häufung des „sagte er“ und „sagte er“ und „sagte er“ und „sagte er“ gewinnt plötzlich eine serielle Komik. Man lacht, man genießt des Autors Unfähigkeit oder seinen Vorsatz, die Erzählerfloskel immer wieder zu wiederholen.

Es spielen:

Otto Sander und Peter Fitz

Die beiden Spieler kommen nur geringfügig in Bewegung. An ihren Tischen verändern sie vorsätzlich nur sparsam die Haltung. Wenn sie dann aber nach Minuten des starren Sitzens und Lesens endlich doch durch eine gelegentliche genaue Wendung in Bewegung kommen nur um diese spärliche Bewegtheit sofort zu stoppen, dann gewinnt auch das eine Heiterkeit, eine dringende Bedeutung, einen Spaß oder eine Bedrohlichkeit, die von großer, von großer Wirkung sind.

Hier herrscht eine vorzügliche Regie. Sie ist dem Inszenator Christian Bertram gutzuschreiben. Und hier herrscht von Seiten der beiden Akteure so viel Kunstverstand vor, so viel Gespanntheit, so viel mühelose Mitteilung anhand eines eigentlich doch ganz unmitteilsamen Vorganges, dass man, wenn man nur Sinn für solche schauspielerische Equilibristik hat, dieses Dreiviertelstunden-Stück sehr genießt. Der tiefsinnige Unfug ist voller Heiterkeit.
Man staunt immer wieder, wie Beckett aus scheinbaren Anlässen der totalen Ereignislosigkeit geradezu atembenehmende Ereignisse oder Erfahrungen zu schlagen versteht. Und man ist aus diesem Anlass entzückt, wie genial er ganz Unerhebliches, ja geradezu sinnlos Scheinendes sehr wichtig, sinnvoll zu machen versteht. Vor allem aber erfährt man Humor, reines Gelächter, sinnvolle Freude.
Beckett ist immer noch unser größter Theatraliker, auch wenn er offensichtlich Glanz, Belebtheit, Aktion und reine Handlung auf dem Theater immer nur eliminiert und meidet.

 

Friedrich Luft, Die Stimme der Kritik, RIAS Berlin, 1982